Studium nicht gegen duale Ausbildung ausspielen!

Wir sind gut beraten dafür zu sorgen, dass alle Jugendlichen eine gute Ausbildung bekommen. Die einen wählen eine duale oder schulische Ausbildung, die anderen ein Studium, manche entscheiden sich für beides nacheinander oder auch für beides gleichzeitig im Rahmen eines dualen Studiums – je nach Interessenlage und formaler Voraussetzungen. Diese Vielfalt ist gut und richtig so! Es gibt aber immer noch zu viele Jugendliche, die diese Wahl nicht haben. Sie landen in den Warteschleifen des Übergangssystems.

Nun haben insbesondere die Handwerkskammer, aber auch andere wie z.B. Ex-Staatsminister Julian Nida-Rümelin, eine Debatte losgetreten, die in etwa so geht: „Es herrscht Fachkräftemangel. Immer mehr AbiturientInnen und HochschulabsolventInnen bringen uns nicht weiter, wir brauchen mehr junge Menschen in der dualen Ausbildung. Die Perspektiven sind sehr gut oder besser als nach einer akademischen Ausbildung“. Von „Abiturientenschwemme“, „Entwertung des Abiturs“ und „Akademikerwahn“ ist da die Rede. Die CDU greift diese Debatte auf. Mindestens bei der CDU darf man vermuten, dass sie trotz gegenteiliger Beteuerungen einem Bildungssystem der 60er Jahre sehr zugewandt ist. Kinder aus akademischen bzw. sog. bildungsnahen Elternhäusern machen Abitur und studieren. Die anderen gehen in eine duale Ausbildung. Damals war alles klar separiert.

Diese Debatte ignoriert gesellschaftliche Realitäten, sie führt zu nichts, und ist fatal und ungeeignet, gesellschaftliche Herausforderungen zu bewältigen. Und zwar aus folgenden Gründen:

  1. Junge Menschen streben höhere Bildungsabschlüsse an, auch verbunden mit dem Wunsch nach gesellschaftlichem Aufstieg. Ein Studium bietet die breitesten Berufswahlmöglichkeiten. Das Durchschnittsgehalt liegt um 74% höher als bei ArbeitnehmerInnen aus der beruflichen Bildung. Ihr Arbeitslosigkeitsrisiko beträgt 2,5%. Das ist annähernd Vollbeschäftigung. Bei ArbeitnehmerInnen mit beruflicher Bildung sind es 5,3%. Und die Wahrscheinlichkeit wegen einer Erwerbsunfähigkeit vorzeitig aus dem Berufsleben zu scheiden liegt bei einem Maschinenbauingenieur unter 5% und bei einem Fliesenleger oder Maurer bei 40%.
  2. Die geringen Arbeitslosigkeitszahlen zeigen, dass es keine AkademikerInnenschwemme gibt. Das Gegenteil ist der Fall: Es fehlen z.B. IngenieurInnen, SozialpädagogInnen, (Berufsschul-)LehrerInnen. Wir können sie nicht einstellen, weil es im Moment zu wenige gibt. Den Fachkräftemangel gibt es also auch massiv auf der akademischen Seite.
  3. Der Staat hat darauf reagiert und für die hohe Studierneigung die entsprechenden Studienplatzkapazitäten geschaffen, auch wenn nicht alle Probleme beseitigt sind.
  4. Die duale Ausbildung steckt in einer Krise. Unternehmen haben jahrelang zu wenig Ausbildungsplätze bereitgestellt. Und wenn, dann sollten es Jugendliche mit möglichst hoher formaler Bildung sein, obwohl häufig ein Hauptschulabschluss reichte. In Bremen hat das dazu geführt, dass 60% der Arbeitslosen keinen Berufsabschluss haben und nur unter erschwerten Bedingungen zur Beseitigung eines Fachkräftemangels zur Verfügung stehen. Der Fachkräftemangel ist teilweise hausgemacht.
  5. Trotz Fachkräftemangel haben wir in Bremen immer noch zu viele Jugendliche,  die einen Ausbildungsplatz suchen. Diese haben einen mittleren Berufsabschluss, eine einfache oder erweiterte Berufsbildungsreife und manche auch keinen Schulabschluss.  35% eines Jahrgangs gehen in das sog. Übergangssystem, weil sie i.d.R. keinen Ausbildungslatz gefunden haben. Das waren für das Schuljahr 2013/2014 1255 Jugendliche. Davon haben 941 einen Schulabschluss. Also junge Menschen, die gute Voraussetzungen für eine Berufsausbildung mitbringen und  einen erheblichen Beitrag zur Vermeidung des Fachkräftemangels leisten können.

Was wir stattdessen brauchen:

1      Eine neue Kultur der Ausbildung muss her. Es ist fatal, jungen Menschen zu erzählen, sie seien nicht ausbildungsreif oder ausbildungsfähig. Wer definiert das eigentlich? Ausbildung heißt eben auch, dass junge Menschen nicht schon alle Fähigkeiten haben, sondern diese erlernen müssen. Unsere Gesellschaft ist heterogener geworden. Die Hochschulen stellen sich darauf ein, dass Studierende mit ganz anderen Voraussetzungen an die Hochschulen kommen als früher. Die Betriebe müssen das auch tun! Jugendliche mit ihren Fähigkeiten und Kompetenzen so anzunehmen wie sie sind. Heute sind es eben andere als früher. Deshalb sollte die Perspektive sein, dass Unternehmen diesen jungen Menschen mehr  Chancen geben – insbesondere auch in ihrem eigenen Interesse.

2      Wir wollen diesen Prozess mit der Jungendberufsagentur und der Ausbildungsgarantie gerne unterstützen.  Aber dem Fachkräftemangel kann nur durch gezielte Nachwuchsförderung – also betriebliche Ausbildung – begegnet werden. Daher ist es insbesondere eine Aufgabe der Unternehmen, das seit über einem Jahrzehnt brachliegende Potenzial der Jugendlichen mit maximal Hauptschulabschluss durch bessere Unterstützung zu Ausbildungsabschlüssen zu verhelfen. Gerade die Analysen zu Ausbildungsabbrüchen zeigen, dass da noch viel Luft nach oben ist.

Also: gebraucht werden alle Jugendlichen mit ihren Interessen und ihren Fähigkeiten. Alle gemeinsam sind unsere Zukunftschance zur Begegnung eines Fachkräftemangels,  unter Beachtung der demografischen Entwicklung. Weder die Gesellschaft noch die Unternehmen werden es sich leisten können, auf die Kompetenzen von jungen Menschen mit einfacher oder erweiterter Berufsbildungsreife zu verzichten. Anstatt von interessierter Seite Kraft in einen sinnlosen Konkurrenzkampf zu investieren, ist es sinnvoller, das eigentliche Problem zu lösen.

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