Logbuch Grönland

Auf den Spuren des Klimawandels!
Expedition zum Tiefbohrkernprojekt auf dem Inlandeis in Grönland

Ganz im Norden Grönlands, oberhalb des Polarkreises, liegt das internationale Forschungscamp NEEM. Dort ist das Eis 2,5 Kilometer dick und rund 150.000 Jahre alt. Darin konserviert sind uralte Spuren der Klimageschichte, die viele Erkenntnisse über die Zukunft der globalen Erwärmung geben können. Mit riesigen Bohrern dringt das Forscherteam in den Eiskern vor und fördert das Eis der letzten Warmzeit zutage – Eis von vor rund 115.000 Jahren. Zu der Zeit war es in Grönland 5 Grad wärmer. Aus der damaligen Zeit können die ForscherInnen auf heute schließen: Was passiert bei einer solchen Erwärmung? Schmilzt Grönlands Eispanzer weg? Steigen die Meeresspiegel?

Über den Stand dieses zentralen Klima-Forschungsprojektes, an dem auch das AWI Bremerhaven beteiligt ist, konnte ich mich aus erster Hand informieren. Meine Eindrücke habe ich in einem Online-Tagebuch und einem Video festgehalten. Über die Erkenntnisse gab es anschließend eine Veranstaltung in Bremen.

Das Online-Tagebuch und interessante Fotos dieser Reise gibt es hier:

1. Tag: Kangerlussaq (18.7.10)

Flug Kangerlussuaq Silvia SchönDer Flug von Kopenhagen nach Kangerlussuaq war atemberaubend. Die Weite Grönlands wird schon dort oben fassbar. Weißer Gletscher so weit das Auge reicht.  An der Ostküste wird die weiße Landschaft durch ein Küstengebirge modelliert, sonst ist nur eine große weite Ebene sichtbar. Kurz vor Kangerlussuaq gibt es türkisblaue Seen im Eis. Es ist Schmelzwasser, das in den Sommermonaten entsteht. Kurz vor der Landung  verschwindet die weiße Pracht und eine braungraue Felslandschaft zeigt sich.

Kangerlussuaq 1 Silvia SchönGrönland umfasst 2.175.000 Quadratkilometer und ist damit sechsmal so groß wie Deutschland. Über 80 Prozent des Landes sind mit Eis bedeckt. Nur die Küstenbereiche sind im Sommer grün. Dennoch bin ich erstaunt, wie karg die Landschaft ist. Es heißt zwar Grönland – grünes Land – aber hier wachsen nur Grasmatten und kleine Sträucher. Von Bäumen keine Spur. Angeblich wird in Südgrönland auch Landwirtschaft betrieben. Das muss weiter südlicher sein. Trotzdem ist es hier zu meinem größten Erstaunen warm. 20 Grad und strahlend blauer Himmel. Und mein Hotelzimmer ist auch nicht kühler als meine Wohnung in den letzten Hitzetagen in Bremen. Das passte so gar nicht zu meinem Grönlandbild. Ich war nicht auf kurzärmelige T-Shirts eingestellt, gepackt war im Wesentlichen für Winter-Outdoor. Grönland war für mich immer das Synonym für Kälte und einen riesigen Eisgletscher.

Und es gibt in ja auch! Noch! Wie schnell er abschmilzt, wird in den verschiedenen Klimaszenarien unterschiedlich bewertet.  Dieser Inlandseisgletscher beginnt 60 Kilometer  von hier entfernt. Er ist im Landesinneren bis zu 3000 Meter dick und macht 8 Prozent des Süßwasserreservoirs der Erde aus. Er ist neben der Antarktis das Forschungsgebiet der Klimaforscherinnen und –forscher, um mit Daten der Vergangenheit Erkenntnisse für die Zukunft zu gewinnen. Das Eis ist das Klimaarchiv der Erde. Das Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven koordiniert die Deutsche Polarforschung. Es ist beteiligt an dem unter dänischer Leitung stehenden North Greenland Eemian Ice Drilling Projekt (NEEM). Das Hauptziel ist bis auf den Felsuntergrund in 2565 Meter Tiefe zu bohren. Damit hätte man die Grundlage, um wichtige Erkenntnisse über die Klimageschichte der letzen 150.000 Jahre zu gewinnen. Das Werk steht kurz vor seiner Vollendung und ist vorher noch nie in Grönland gelungen. Ob es gelingt, entscheidet sich die nächsten Tage.

2. Tag: Expeditionsvorbereitung (19.7.2010)

Kangerlussuaq 3 Silvia SchönHeute gab es wissenschaftlichen Unterricht zu den Zielen und Herausforderungen des NEEM Projekt im Kangerlussuaq International Science Support (KISS), dem Basis- und Versorgungslager des Projektes.

An diesem internationalen Projekt, das 2007/2008 initiiert wurde, sind 14 Nationen beteiligt. Es wird von Dänemark geleitet und gilt als das wichtigste Projekt auf der Nordhalbkugel.

Bei der Eiskernbohrung liegt der spezielle Fokus auf der sogenannten Eemianzeit , eine Warmzeit, in der Periode von vor 130.000-115.000 Jahren, als das Klima auf Grönland um 5 Grad Celsius wärmer war als heute und der Meeresspiegel um 5 Centimeter höher. Diese Periode wird als Temperaturanalogie genutzt, um  für das wahrscheinliche Szenario einer globalen Erderwärmung um 2 Grad Celsius Erkenntnisse zu gewinnen. Folgende Fragen will man beantworten: Wie reagierte das Grönlandeis auf die Erwärmung? Wie änderte sich der Meeresspiegel? Wie war die Meeres- und atmsphärische Zirkulation zu dieser Zeit?

Das Projekt begann 2007. Damals wurde zunächst das Equipment von einem alten Camp 365 Kilometer über das Inlandeis zum neu einzurichtenden NEEM-Camp transportiert. 2008 wurde das Camp im Wesentlichen errichtet sowie eine Probebohrung von 100 Metern gemacht. Während des Sommers 2009 begann die eigentliche wissenschaftliche Arbeit und es wurde die Bohrtiefe von 1758 Metern erreicht. Allein in dem Jahr wurde 129.000 Kilogramm Equipment mit dem Flugzeug zu der Station transportiert. Während des Sommers 2010 erwartet das Forscherteam nun den Felsboden zu erreichen.

Für das Jahr 2010 wurde das modernste technische Gerät, das verfügbar ist, herbei geschafft. Die Technik wurde verbessert und die Bohrflüssigkeit ebenfalls. Denn auf gar keinen Fall darf sich der Bohrer festfressen. Gleichzeitig muss das Eis ausreichend gekühlt werden. In der Vergangenheit konnten nie Ergebnisse aus dieser Tiefe erzielt werden, u.a. weil das Eis zu warm (über -6 Grad Celsius) war und nicht entsprechend gekühlt werden konnte. Wenn das Eis zu warm wird, kann die Schichtung zerstört werden und die Altersbestimmung ist nicht mehr möglich. Wegen der großen geothermischen Hitze in Bodennähe wird das Eis zu warm. Außerdem wirkt der dicke Eispanzer wie eine Isolierschicht, so dass die Hitze nicht entweichen kann.

Kangerlussuaq 2 Silvia SchönMorgen ist der eigentliche Tag. an dem ich mir alles aus der Nähe ansehen möchte. Deshalb werden wir heute noch mit Polarequipement ausgestattet, bestehend aus einem Polaroverall und Polarboots – beides für mich mindestens drei Nummern zu groß. Dort auf dem ewigen Inlandeis im Norden betragen die Temperaturen im Sommer zwischen – 20 und -5 Grad und im Winter zwischen -40 und -20 Grad. Deshalb wird das Camp auch nur im Sommer betrieben, in diesem Jahr vom 29. April bis zum 18. August.

Ob geflogen werden kann, entscheidet sich erst morgen früh 10 Minuten vor Abflug. Dafür müssen die Wetterbedingungen stimmen. Das heißt, es darf nicht zu warm sein. Optimale Start- und Landebedingungen sind bei -15 bis -10 Grad gegeben.  Ab -5 Grad kann kaum noch gestartet und gelandet werden, wie vor gut einem Monat. Damals brauchte „unsere“ Herkules LC 130 der New York National Guard  acht Startversuche. Das dauerte 4 Stunden. Dabei musste ein Teil der Ladung am Boden bleiben und es mussten 5000 Liter Treibstoff nachgetankt werden. Der starke Seitenwind tat sein übriges. Die Schneepiste musste danach umfassend neu präpariert werden. Nichts für Menschen mit Flugangst! Ich bin sehr gespannt und von Natur aus optimistisch und freue mich darauf, morgen mit circa 35 Wissenschaftlern aus aller Welt über Fortschritte in der Klimaforschung diskutieren zu können.

3. Tag: Forschungsstation im ewigen Eis  (20.7.2010)

Kangerlussuaq 4 Silvia SchönHeute ist der Tag. Wir fliegen mit einer Hercules LC 130 der US Air Force, einer der wenigen Maschinen weltweit, die auf Schnee landen kann. Das Ziel: Position 77N 51W  NEEM-Camp. Das Innenleben der LC 130 ist ein riesiger Frachtraum. Wir sitzen in vier Pritschenreihen längsseits in der ersten Hälfte. Dahinter beginnt der offene Laderaum. Der Lärmpegel ist nur mit Ohrstöpseln halbwegs zu ertragen.

Flug 1 Silvia SchönIm Cockpit spreche ich mit dem Piloten George Alston. Er erzählt mir, dass die größten Herausforderungen beim Fliegen dieser Maschinen die unkalkulierbaren Wetterbedingungen sind. „Aber ich erwarte akzeptables Wetter“, so der Pilot. Dennoch, die Bedingungen sollten sich noch ändern. Schlechte Sicht, Wind und viel Neuschnee zwangen uns am Ende zum vorzeitigen Aufbruch aus dem Camp, wollten wir nicht die Nacht im Schlafsack auf dem Fußboden des kleinen Aufenthaltsraum im schwarzen „Main Dome“ verbringen. Dazu später mehr.

Forschungsstation Silvia SchönNach der Ankunft im Neem-Camp tauschten wir uns zunächst mit den ForscherInnen aus. Ein bisschen mehr Zeit für Diskussion wäre schön gewesen. Aber die optimale Betreuung, insbesondere vom Alfred-Wegener-Institut, machte wesentliche Einblicke in die spektakuläre Forschung an einem spektakulären Ort möglich.

Eislabor 1 Silvia SchönEs begann mit der für mich sensationellen Hebung des Bohrkerns. Ein Hochpräzisionsbohrer von circa 15 Centimetern Durchmesser hob aus einem geschätzten 5 Meter langen, 30 Centimeter breiten und 4 Meter tief ausgeschachteten Eisschacht den Bohrkern aus seiner senkrechten Position durch eine 45 Grad Neigung in die Waagerechte genau vor meinen Augen. Sofort wurde der etwa 2 Meter lange Eiskern aus dem metallischen Bohrrohr gelöst. Er ist rund 150.000 Jahre alt. Fernando Varero  vom Alfred-Wegener-Institut und für die Bohrungen zuständig erklärte mir: „Wir sind kurz davor den Felsboden in 2565 Meter Tiefe zu erreichen.  Wir hoffen, dass wir das in den nächsten Tagen schaffen.“

Eislabor GrönlandDie gesamte Eiskernbohrung findet in einem fast 10 Meter tief ausgeschachteten Keller  komplett unterirdisch statt. Die Wände und die Decke bestehen vollständig aus Eis. Von hier führt ein schmaler Eisgang direkt ins Eiskernlabor und ins Eiskernlager. Auch in diesem Raum bestehen Wände und Decke komplett aus Eis. Hier werden die Eiskerne gelagert, die nicht vor Ort untersucht werden. Sie werden für den Transport verpackt, um sie in den Laboren der beteiligten Polarforschungsinstitute zu analysieren. Im Eiskernlabor werden umfangreiche Untersuchungen gemacht wie z.B. chemische und physikalische Analysen oder Staubanalysen.

Eislabor 2 Silvia SchönAnna Wegner vom Alfred-Wegener-Institut führt mich herum und erklärt mir, was alles im Eis gemessen wird. Sie berichtet: „Die Zusammensetzung der im Eis eingeschlossenen Luft gibt uns Hinweise, ob es sich um eine Kaltzeit oder eine Warmzeit gehandelt hat.“ Anna Wegner untersucht speziell Staub und sagt: „Die Konzentration von Wüstenstaub im arktischen Eis verrät uns wie stark die Luftzirkulation war. Und so wissen wir, wann es eine Kaltzeit und wann es eine Warmzeit gab“. Hier unten muss mit Polaroverall, Polarboots und dicken Handschuhen gearbeitet werden, so kalt ist es. Nur die kleinen Labore mit den Spezialanalysegeräten brauchen Zimmertemperatur. Hier ist das Arbeiten angenehm.

Main Dome Silvia SchönAbschließend erzählt mir Fernando Valero: „Das soziale Leben findet im „Main Dome“ statt. Die beiden „Red Domes“ sind die Gemeinschaftswohnbereiche. Dort wohnen die meisten von uns. Ich wohne in einem der kleinen gelben Ein-Personenzelte dort drüben“. Auf meine Frage, wie groß sie denn seien, sagte er: „So groß wie ein ganz normales Ein-Personenzelt.“

Eislabor 3 Silvia SchönEin letzter Blick auf die Temperaturanzeige im „Main Dome“ verrät mir: -4,3 Grad Außentemperatur, gefühlt wie -18,5 Grad. Wind: 7 Meter pro Sekunde. Und nun schnell zurück auf dem Motorschlitten zum Flugzeug. Doch zunächst reicht die 4 Kilometer lange Schneepiste nicht zum Take-Off. Das Flugzeug schießt darüber hinaus. Schließlich glückt der Start aber doch.

4. Tag: Bericht 21.7.2010

Heute ist pingasunngorneq. Das ist Grönländisch und heißt Mittwoch. Kalaallisut (Grönlandisch) gehört zu den ostinuitischen Sprachen. Ihre besondere Eigenschaft: sehr lange Wörter stehen für ganze Sätze. Also zum Beispiel: „Inissamik pisinnaavunga?“ Heißt: „Kann ich ein Zimmer bekommen?“ Alles klar? Auch „Kangerlussuaq“ hat eine Bedeutung: „der lange Fjord“. Und in der Tat,  der 560 Einwohner zählende Ort liegt am Ende eines circa 150 Kilometer langen Fjords, in den sich ein gigantischer Schmelzwasserfluss ergießt. Dadurch wird für mich das Schmelzen des Polareises sinnlich spürbar. Mittlerweile fließt doppelt so viel Schmelzwasser ins Meer, als noch vor einigen Jahren. Der Grund ist der rasante Anstieg der Durchschnittstemperatur in Grönland von 3 bis 4 Grad in den letzten fünf Jahrzehnten.

Kangerlussuaq Gletscher 1 Silvia SchönAuch in Kangerlussuaq weiß man, dass sich das Eis in Bewegung befindet. Der Inlandsgletscher ist aktuell etwa 20 Kilometer vom Ort entfernt. Zusammen mit dem Kangerlussuaq International Science Suppoort (KISS), der Basisstation des NEEM-Projektes, habe ich mir heute die Entwicklungen aus der Nähe angesehen. Ich muss erst eine riesige Geröllschicht überwinden, bevor ich auf dem Gletscher stehe. Das Geröll entsteht, weil der Gletscher permanent in Bewegung ist. Jorgen Peder Steffensen, der Manager von KISS, erklärt: Wir sehen hier blau-weißes Eis aus der jetzigen Warmzeit und ebenso an der Oberfläche weiß-graues Eis aus der letzten Eiszeit“. Das Grau wirkt wie eine riesige Schmutzschicht auf mich. Jorgen Peder Steffensen erläutert: „Das ist Staub aus der letzten Eiszeit. Damals war die Luft sehr trocken und hat viel Staub sehr weit transportiert“. Das eigentliche Dramatische aber sei, dass diese Eisschicht schmelze und im Jahr um einen Meter abnehme. „Wie groß der Anteil ist, der auf die natürliche erdgeschichtliche Warmzeit zurückzuführen ist  und wie groß der Anteil ist, der von Menschen gemacht ist, wird gegenwärtig noch diskutiert“, so Steffensen.

Aber nicht nur das Inlandeis ist vom Tauwetter betroffen, sondern auch das Meereis. Es wird von Jahr zu Jahr dünner und friert im Herbst später zu und taut im Frühjahr früher auf. Dies hat dramatische Konsequenzen für die Eisbären und die Inuit. Beide jagen vom Meereis aus. Die Bären jagen die Robben und die Inuit jagen die Bären und die Robben. Für sie wird jede Jagdexpedition zum bedrohlichen Risiko. Dieser Klimawandel hat zu erheblichen gesellschaftlichen Veränderungen geführt. Die Wissenschaftlerin Marlin Jennings vom Indigenous Climate Change Ethnographies hat ihre Ergebnisse auf der Klimakonferenz in Kopenhagen 2009 präsentiert. Das Resultat: Immer weniger Jäger können ihre Familien ernähren, immer mehr sind auf staatliche Unterstützung angewiesen. Dem Rollen- und Statusverlust folgen soziale Probleme wie Alkoholismus und Selbstmord. Aber ist gibt auch Grönländer, die eine andere Perspektive haben. Grönländer wie Kim Jorgen Ernest, Besitzer des Restaurants Roklubben in Kangerlussuaq, der sich über die aufkommende Landwirtschaft in Grönland freut. Er sagt: „Es gibt immer Gewinner und Verlierer. Wir waren lange Jahre die Verlierer, jetzt sind wir Gewinner.“ Für mich wird deutlich: Hier in Grönland zeigt sich bereits jetzt, dass der Klimawandel mitten in Europa erhebliche Auswirkungen auf das Zusammenleben der Menschen hat und haben wird.

 

 

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